Links ist ein Gebäude der Universität Lüneburg und rechts aus dem PRIO1-Projektteam Marreike und aus dem PRIO1-Planungsteam Matthias.

PRIO1 bei der LCOY 2022

Am letzten Oktoberwochenende hatte PRIO1 die Gelegenheit bei der diesjährigen „Local Conference of Youth“ dabei zu sein. Planungsteam-Mitglied Matthias erzählt nun als Gastautor unseres PRIO1 Blogs von seinen Eindrücken vom Wochenende. Insbesondere aber von seiner Diskussionsrunde zum Thema „Klimaengagement“. Wie lösungsorientiert der Klima-Aktivismus ist, war dabei einer der zentralen Fragen.

Klima-Aktivismus in der Krise?

Diese Frage kam mir spätestens nach unserem Besuch im Bundestag. Kann es sein, dass die Wahrnehmung von engagierten jungen Menschen auf die Gesellschaft nach und nach negativer wirkt? Und wer engagiert sich aktuell noch auf der Straße, setzen wir uns alle noch für dieselben Ziele ein? Und wer ist dieses „Wir“?

Gerade mit den jüngsten aktivistischen Aktionen von der „Letzten Generation“ scheinen Konfrontation und extremer Aktivismus die Medienwahrnehmung stark zu beeinflussen. In Teilen werden die Aktionen schon nicht mehr unter dem Namen Klima-Aktivismus, sondern als „Störer“ betitelt.
Aber wer alles unterstützt diese Aktionen? Und schaden sie nicht uns Allen? Diese Fragen haben mich dazu bewegt, eine Diskussionsrunde über das Thema „Klimaengagement“ auf der LCOY 2022 zu führen.

Diskussionsrunde auf der LCOY 2022 in Lüneburg

Dank unserer langen Zusammenarbeit mit dem LCOY-Team durften wir als PRIO1 am „Local Conference of Youth“ Wochenende nicht nur sonntags auf dem Markt der Möglichkeiten präsent sei. Auch samstags durfte ein eigener Veranstaltungspunkt mitgestalten werden.
In einem sehr spannenden Austausch an der Leuphana Universität durfte ich dann vor und mit über 40 Teilnehmenden diskutieren. Ein kleines Stimmungsbild zu Beginn zeigte schnell, dass sich die Klima-Aktivismus-Bewegung (inkl. Fridays for Future) als links bzw. sehr links einordnet. Klimaschutz ist auf eine gewisse Art und Weise aber auch eine sehr konservative Forderung: Das Bewahren des Bestehenden und vor Veränderung schützen. Die Einsicht, dass dieses Thema von mehr Menschen als einer Randgruppe der Gesellschaft vorangetrieben muss, war in der Diskussionsrunde überwiegend präsent.

Kein gesamtgesellschaftlicher Klima-Aktivismus (mehr)

Dennoch zeigten sich auch innerhalb der Gruppe sehr geteilte Ansichten über die zukünftige Ausrichtung des Aktivismus und insbesondere, wer alles in der Vergangenheit auf dem Weg verloren gegangen ist. Der Bezug zur Mitte der Gesellschaft schien dabei aber nicht im Fokus einiger Klimaaktivist*innen zu liegen, es konnten jedoch auch positive gesamtgesellschaftliche Aktionen, wie Kooperationen mit Gewerkschaften (ggf. der Feuerwehr), genannt werden. Letztlich ist allen klar, dass man den Klimawandel nur mit möglichst vielen zusammen stoppen kann, doch sich die Hände zu reichen und auch außerhalb der eigenen Blase zu agieren erschien den meisten Teilnehmenden als Herausforderung und nicht als gelebte Realität.

Klima-Aktivismus links-radikal
statt für Alle und Jede*n

Einen interessanten Einblick in genau diese Diskussionen bot ein FFF-Organisator aus Dresden, der seine eigenen Eltern vor 2 Jahren noch für die Demos begeistern konnte. Diese wandten sich jedoch ab, unter anderem aufgrund des vermehrten Auftretens linksextremer Bewegungen wie der Antifa. Dass dieses zunehmend stark linke Denkbild Einzug in den Klima-Aktivismus auf der Straße hält, wurde auch deutlich, als die ersten Fachbegriffe wie selbstverständlich fielen: „Intersektionalität“1, „Radical Flank Effects“2 und in Teilen auch Begriffe wie „Kampf“ und „Revolution“. Für mich war es besonders spannend, auch Aktivist*innen aus der „Letzten Generation“ mit dabei zu haben, die auch zu ihrer radikalen Haltung Stellung bezogen haben. Dass, was gerade geschehe, reiche nicht aus. Es müsse mehr getan werden und mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt werden.

Wie zielführend ist der Klima-Aktivismus?

Welches Thema dabei aber wirklich zentral sei und vor allem welche konkreten Ziele verfolgt werden müssen, war jedoch ein ungelöstes Problem. Wie weit Aktivismus gehen darf, ist auch nach dem LCOY-Wochenende Ende Oktober in den Medien noch stärker thematisiert worden. Gerade vor der COP 27 ist dies natürlich nicht nur von Nachteil. Wenn starke Forderungen nach mehr Klimaschutz und auch mehr Klimagerechtigkeit in den deutschen Medien diskutiert werden, dann steht das Thema auch neben anderen Krisen im medialen Raum. Es ist schwer einzuschätzen, ob der Aktivismus aktuell förderlich für die vielfältigen Diskussionen rund um Nachhaltigkeits- und Zukunftsthemen ist. Trotz unklarem Ausgang bedeutet der Aktivismus die Aufrechthaltung einer kontinuierlichen Forderungspolitik und das auf eigene Kosten und eigenen Einsatz.

Mentale Gesundheit

Überraschenderweise ist die Debatte innerhalb des Klima-Aktivismus weitaus breiter gefasst als Nachhaltigkeit allein. Es wird auch viel über den Einfluss von dystopischen und utopischen Szenarien gesprochen und auch hier unterschieden sich die Meinungen stark voneinander. Manche argumentierten für „realistische Katastrophenszenarien“ die den Menschen deutlich gemacht werden sollen. Andere reflektierten auch aus eigener Perspektive wie nachteilig das Denken in hoch-negativen Szenarien sich auf die eigene mentale Gesundheit auswirkt. In diesem Bereich sei mehr Austausch und Unterstützung innerhalb der Community notwendig. Letztlich ist in meinen Augen sehr positiv aufgefallen, dass Relativismus3 keine Antwort auf die Probleme der Welt zu sein scheint. Zumindest aus Sicht der Aktivismus-Community. Im Nachhinein passt in dieses Bild auch die Forderung nach „Klimagerechtigkeit“, die von vielen als Grundforderung des Klima-Aktivismus und als selbstverständlich angesehen wurde.

Selbstkritik und Austausch

Insgesamt war die Veranstaltung ein sehr gelungenes Format. Vieles kam zur Sprache und auch so manche Selbstkritik durfte in einem angenehmen Rahmen geäußert werden. Gerade Teilnehmende aus der BIPOC4-Community konnten sich hier bspw. zu der Schein-Moral der weißen Mittelschicht äußern und Vorträge über Rassismus und Kolonialmuss vor überwiegend weißem Publikum halten. Im Prinzip wurden viele dieser Äußerungen auch breit geteilt, es kam scheinbar nur selten zur offenen Aussprache innerhalb der Community. Mir hat dieses Format einer Diskussionsrunde unheimlich gut gefallen. Gerne hätte ich noch eine gute Stunde länger gesprochen – ich freue mich schon auf die nächste Gelegenheit!


1„Intersektionalität beschreibt – kurz gefasst – die Überschneidung mehrerer Differenzen und Diskriminierungsformen, etwa Rassismus und Sexismus. Die verschiedenen Kategorien werden dabei nicht einzeln betrachtet, sondern ergeben zusammen eine eigene Diskriminierungserfahrung. Intersektionalitätsforschung untersucht diese verschiedenen Phänomene auf Ähnlichkeiten und Berührungspunkte.“ [1]

2„Radikale Flankeneffekte (RFEs) sind interaktive Prozesse, an denen radikale und moderate Fraktionen sozialer Bewegungen und Dritte außerhalb dieser Bewegungen beteiligt sind. Sie führen zu nachteiligen und/oder positiven Auswirkungen radikaler Gruppenaktionen auf den Ruf und die Effektivität […] sozialer Bewegungen.“ [2]

3“[E]rkenntnistheoretische Lehre, nach der nur die Beziehungen der Dinge zueinander, nicht aber diese selbst erkennbar sind“ [3]

4BIPoC ist die Abkürzung von Black, Indigenous, People of Colour und bedeutet auf Deutsch SchwarzIndigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt. All diese Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen. Das bedeutet, sie sind aus einem Widerstand entstanden und stehen bis heute für die Kämpfe gegen diese Unterdrückungen und für mehr Gleichberechtigung.“ [4]

Quellen

[1] BPB: Intersektionalität
[2] The Wiley-Blackwell Encyclopedia of Social and Political Movements (2013)
[3] Duden: Relativismus
[4] Migrationsrat: BIPOC

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  • Matthias Berg, PRIO1 Mitglied

    Planungsteam-Mitglied

    Wissenschaftlerin mit Weltkugel in Reagenzglas

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